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Solidarische Landwirtschaft – wie geht das Ernteteilen bei Streuobst?
Sie teilen Ernte und Kosten: Bei der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) arbeiten produzierende Betriebe und Verbraucherinnen und Verbraucher zusammen. Bekannt ist das Konzept in Deutschland schon länger, vor allem für Gemüse. Doch funktioniert es auch für Streuobst? Hochstamm Deutschland e.V. will es genauer wissen und fragt einen, der sich auskennt. Quirin Kern hat sich in seiner Masterarbeit intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und zwölf Obst-Solawi-Pionierbetriebe befragt.
- Der angehende Wissenschaftler: Quirin Kern, Student im Masterstudiengang „Organic Agricultural Systems and Agroecology“ an der Universität für Bodenkultur Wien
- Die Arbeit: Sich die Obst-Ernte teilen: Obstbau nach dem Konzept der Solawi in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hier geht es zur Masterarbeit.
Hochstamm Deutschland (HD): Quirin, Du hast Dich in Deiner Masterarbeit mit der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) beschäftigt – und speziell auf den Obstbau geblickt. In drei kurzen Sätzen: Was ist denn eine Solawi?
In der Solawi verbindet sich eine Gruppe von Verbraucherinnen und Verbrauchern dauerhaft mit einem oder mehreren landwirtschaftlichen Betrieben, um Kosten und Risiken, aber auch die Erträge miteinander zu teilen. Die Verbraucher (auch Ernteteiler genannt) übernehmen also ganz konkret Mitverantwortung für die Landwirtschaft. Sie sorgen so z.B. mit dafür, dass „ihre“ landwirtschaftlichen Betriebe faire Löhne erhalten. Dafür ist es aber erforderlich, dass sie sich nicht nur finanziell, sondern auch aktiv durch ihre Mitarbeit in Organisation, Verwaltung oder manchmal auch auf dem Feld beteiligen – zumindest einige von ihnen.
HD: Eine provokante Frage zu Beginn? Rettet eine Solawi Streuobst?
Ja, die Erfahrung der Pionierbetriebe zeigt, dass durch Solawi die Pflege und Ernte von Streuobst wieder wirtschaftlich werden kann. Aber – und das ist ein sehr großes Aber – Verbraucher müssen bereit sein, ihren Teil dafür zu leisten. Im Idealfall unterstützen sie über Jahre und auch durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen hindurch. Sonst geht die Solawi ein und die Streuobstbetriebe stehen wieder allein da. Daher werden auch Gemüse-Solawis immer ein Nischenphänomen bleiben. Sie sind eben so anspruchsvoll. Zur flächendeckenden Streuobstrettung wird es also leider nicht ganz reichen.
HD: Warum ist das Konzept für Streuobst interessant?
Im Streuobst haben wir das Problem, dass der Lebensmittelhandel nichts mit dem Obst anfangen kann. Es entspricht nicht seinen (absurden) Qualitätsanforderungen. Genau hier wirken Solawis Wunder, weil sie den Handel komplett umgehen. Es wird einfach verteilt und gegessen, was da ist. Die Erzeugerlöhne sind über die verbindlichen Monatsbeiträge der Ernteteilerinnen abgesichert. In Solawis stellen die vielen Vorzüge von Streuobst wie Geschmack, Vielfalt, Lebens- und Erlebnisraum auf einmal wieder einen Mehrwert und kein Ärgernis mehr dar: Es entstehen Jobs, das Obst wird wieder genutzt, Altbestände saniert und Jungbäume nachgepflanzt. Und die Leute feiern Mitmachaktionen! Die Kirschernte an Hochstammbäumen ist für Marktbetriebe ein wirtschaftlicher Albtraum, für Familien mit Kindern hingegen ein Fest. Insgesamt gesehen eignet sich Streuobst hervorragend für gemeinschaftliche Verantwortung: Es braucht viele Hände, aber gibt auch viel zurück. Diese Vielfalt und Lebensqualität bekommen wir sonst praktisch nirgendwo mehr, denken wir zum Beispiel an gemeinsames Heumachen oder hochreife Pflaumen direkt vom Baum.
HD: Es ist Erntezeit auf der Streuobstwiese. Was genau passiert jetzt in der Streuobst-SoLaWi?
Jetzt verteilen die Betriebe natürlich vor allem die Ernteanteile. Alle ein bis zwei Wochen stehen die Früchte der Saison in den Abholstellen für die Ernteteiler bereit. Die Erntezeit ist die Zeit des Überflusses, der Feste, aber auch der Haltbarmachung für den Winter. Jede Solawi handhabt das ein bisschen anders, aber im Normalfall helfen die Ernteteiler über den Sommer verteilt bei einigen größeren Gemeinschaftsaktionen mit. Das bereits genannte Beispiel der Kirschernte eignet sich sehr gut. Manche Solawis holen sich auch im Herbst beim Mosten oder dem Pflanzen von Jungbäumen Hilfe von den Mitgliedern. Gerade auch „Extras“ wie Sommerfeste oder Einkoch-Aktionen sind sehr dankbar für die aktive Beteiligung von Seiten der Mitglieder. Die Erzeugerbetriebe haben in der Zeit ohnehin schon alle Hände voll zu tun. Die eigentliche Ernte und Logistik sowie die Baumpflege etc. übernehmen sie aber zum Großteil selbst. Dafür ist Fachwissen nötig und die Mitglieder haben realistisch gesehen ja auch wenig Zeit für die landwirtschaftliche Arbeit. Die Mitarbeit oft auch völlig freiwillig und wird von niemandem verlangt, der keine Zeit oder Lust dazu hat.
HD: Was passiert, wenn die Ernte, wie es typisch ist bei Streuobst, von Jahr zu Jahr schwankt?
Teilweise bietet die Solawi Lösungswege, die ein „moderner“ Erwerbsobstbetrieb nicht hat, obwohl dort fast genauso starke Ertragsschwankungen auftreten wie im extensiven Anbau. Daher empfehle ich übrigens auch Intensivobstbaubetrieben, sich das Konzept einmal anzusehen, v.a. als Ergänzung zu ihren bisherigen Vermarktungswegen.
Aber zurück zum Streuobst: Zunächst einmal gehört die Risikoteilung grundsätzlich zum Konzept der Solawi dazu. Über die Jahre gemittelt sollte es zu einem Ausgleich zwischen mageren und fetten Jahren kommen. Um es aber gar nicht so weit kommen zu lassen, sind die Solawi-Betriebe in der Regel sehr bedacht darauf, auch kleinere Ausfälle zu kompensieren. Das geht beispielsweise durch Kontakte und Ausweichflächen im regionalen Streuobst-Netzwerk, durch das Sammeln von Wildobst und Nüssen oder durch spontane Recherche in der Nachbarschaft (Hat jemand Beeren aus dem Garten abzugeben?). Sehr hilfreich ist auch die Haltbarmachung von Überschüssen, z.B. in Form von Saft, Marmeladen und anderen Spezialitäten. Diese lassen sich auch mal ein Jahr länger lagern. Im Ernstfall kann man mit den Mitgliedern auch mal den Zukauf von außen diskutieren. Aber die beste Versicherung ist sicherlich die Vielfalt der Wiesen selbst, sprich: möglichst viele Arten und Sorten zu kombinieren (Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumenartige, früh-, und spätblühende, helle und dunkle, auch seltene oder neuartige wie Maulbeeren etc.). Prinzipiell ist Solawi quasi eine „Spezialisierung auf Vielfalt“: Je vielfältiger, umso resilienter.
HD: Ist eine „reine“ Streuobst-Solawi erfolgreich? Was sind Erfolgskriterien? Lohnt es sich?
So richtig lohnen im Sinne von finanzieller Rendite wird es sich wohl nie. Aber jeder Mensch definiert Erfolg ja ein bisschen anders. Im Streuobstbereich ist es ja schon eine Seltenheit, sich überhaupt einen Lohn auszuzahlen. Für viele ist die Freude an der Arbeit, z.B. aufgrund der direkten Kontakte zu den Ernteteilern, entscheidender. Um für die Verbrauchergemeinschaft attraktiv zu sein, braucht es aber nicht nur vielfältige und bereits ertragsfähige Streuobstwiesen, sondern auch gute Lagerbedingungen. Das gilt vor allem bei den immer wärmer werdenden Sommern und Herbsten. Wer über Weihnachten hinaus attraktives Frischobst ausgeben will, kommt in Zeiten des Klimawandels mit einem alten Gewölbekeller leider nicht mehr weit - außer dieser ist wirklich kühl, auch bei hohen Außentemperaturen. Und nicht zuletzt hat meine Arbeit gezeigt, dass es ohne Anschluss an eine Gemüse-Solawi wohl nicht funktioniert. Wer keine direkte Kooperation mit einer solchen hinbekommt, sollte wenigstens versuchen, die Abholräume in die direkte Nachbarschaft einer Gemüse-Solawi zu legen. Dann lohnt es sich in beiden Solawis Mitglied zu sein und der Zeitaufwand für die Abholung bleibt überschaubar.
HD: Du hast auch mit Solawi´s gesprochen, die aufgegeben haben. Was war der Grund dafür?
Ich bin sehr dankbar, dass zwei ehemalige Solawi-Betriebe bereit waren, mit mir über ihr Scheitern zu sprechen. Der eine Fall hat lange Zeit mit eigenem Streuobst (sowie mit zugekauften Bioäpfeln zur Saisonverlängerung) eine große Solawi im Berliner Raum beliefert. Dann ist leider die Projektleitung wegen zwischenmenschlicher Probleme geplatzt. So etwas ist nicht selten bei Gemeinschaftsprojekten dieser Art. Für den Obstbauern war es ziemlich tragisch. Zehn Jahre lang lief es gut, er hatte bereits in weitere, auch experimentelle Obstanlagen investiert. Jetzt steht er mit Schulden da und der Markt kann mit seinem Obst wenig anfangen.
Der andere Fall ist ein typischer Bio-Intensivobstbetrieb, spezialisiert auf Äpfel. Er liegt etwas ungünstig ländlich, mitten in einem Obstbaugebiet. Neben der schwierigen Lage ist es diesem Betrieb als einzigem meiner Fälle nicht gelungen, Anschluss an eine regionale Gemüse-Solawi zu finden. Sehr wahrscheinlich hatten diese Solawis zu der Zeit einfach keine personellen Kapazitäten für eine Zusammenarbeit frei. Das ist sehr schade, denn Obst und Gemüse ergänzen sich super und ich habe in meiner Arbeit mehrere erfolgreiche Beispiele für solche Kooperations-Solawis kennengelernt.
HD: Ich möchte selbst mein Streuobst in einer SoLaWi vermarkten. Wie fange ich an? Welche Fähigkeiten und Voraussetzungen sollte ich mitbringen?
Grundsätzlich sollte klar sein, dass es sich nicht um Vermarktung handelt, sondern um die Beziehung mit einer ganzen Gruppe von Individuen mit dem Zweck, die Bedürfnisse aller zu berücksichtigen. Es kommt also einiges mehr auf mich zu als nur das Teilen der Ernte. Kommunikation ist das A und O für Solawis. Manche Ernteteiler wollen (hoffentlich!) auch ab und zu mitreden, mitgestalten, mitanpacken. Wenn ich nicht gerne mit Menschen arbeite, sollte ich mir also etwas anderes überlegen. Wenn mir sowas aber zumindest ein bisschen Spaß macht, ist es eine tolle Bereicherung und gibt gerade im Streuobstbereich die nötige finanzielle Basis.
Es empfiehlt sich, die Verbrauchergemeinschaft von Anfang an in die organisatorischen Arbeiten mit einzubinden. Aufgaben, die über das Obstbauliche hinausgehen, lassen sich zumindest teilweise an sie abgeben. Auch die Akquise von Fördergeldern, ggf. alternativer Formen wie Crowdfunding, kann den Start um einiges erleichtern (Stichwort Lager und Infrastruktur). Interessanterweise braucht es aber keinen landwirtschaftlichen Betrieb für eine Streuobst-Solawi, ein Gewerbe reicht.
Daneben braucht es das übliche: ungenutzte Streuobstwiesen (gibt es in weiten Teilen Deutschlands zuhauf), grundlegende Kenntnisse im Streuobstbau (z.B. eine solide Baumwartausbildung), eine lösungsorientierte Einstellung (Schwierigkeiten als Lehrmeister sehen). Und dann: einfach tun!
HD: Aus welchem Grund hast Du Dich mit dem Thema beschäftigt?
Ich bin selbst Baumwart und habe mich auch schon länger in verschiedenen Solawis engagiert. Während des Studiums in Witzenhausen und Wien hat mich besonders die Agroforstbewegung interessiert. Ich wusste aber nicht, wo ich als Quereinsteiger ansetze. Irgendwann ist dann der Groschen gefallen, dass ich auch das alles auch zusammen denken kann. Ziemlich schnell habe ich einige Pionierbetriebe gefunden und erfreulicherweise waren die meisten sofort bereit, mir Rede und Antwort zu stehen. So sind auch die breitgestreute Fallauswahl sowie der länderübergreifende Ansatz zustande gekommen. Es gab übrigens keine nennenswerten Länderunterschiede. Besonders spannend finde ich, dass es bei den Obst-Solawis eine große Spannbreite zwischen extensiv (klassisches Streuobst) und intensiv (klassische Plantage) gibt, mit vielen Mischformen dazwischen. Ich fand es aufregend, diese Weiterentwicklung von Streuobst ein wenig zu begleiten.
HD: Und zum Schluss eine Schnell-Fragerunde. Wie sähe „Deine“ perfekte Streuobst-Solawi in Bezug auf folgende Faktoren aus?
- Landwirtschaftlicher Betrieb oder Gewerbe?
Gewerbe
- Extensiv oder intensiv?
Extensiv und semi-intensiv gemischt
- Bio oder konventionell?
Biologisch bewirtschaftet, aber nicht zwangsläufig zertifiziert
- Zukauf oder eigene Ernte?
Eigene Ernte (Zukauf erst, wenn ich keine 6 Monate Versorgung aus eigener Ernte hinbekomme)
- 30 oder 100 Ernteanteile?
100 (unter 80 bleibt es Hobby)
- Hohe oder geringe Vielfalt an verschiedenem Obst?
Sehr hoch!
- Verarbeitetes oder Frischobst?
Frischobst als Basis, Verarbeitung als Abrundung
- Festbetrag oder Bieterrunde?
Individuell nach Selbsteinschätzung
- Einkommen oder Hobby?
Einkommen (ggf. Nebenerwerb)
HD: Quirin, vielen Dank für Deine Antworten! Bist Du an Austausch interessiert? Wo und wie erreichen Dich Interessierte?
Es ist ein kleines Obst-Solawi-Netzwerk am Entstehen, Interessierte dürfen mich gerne unter kernobst@posteo.de kontaktieren.
HD: Vielen Dank für die Einblicke und dass Du Dein hart erarbeitetes Wissen mit uns teilst!