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Streuobstcider in der Gastronomie: „Eine neue Bewegung“
Sie sind Profis für Schulungen und Verkostungen und haben ein großes Netzwerk in der Gastronomie und Lebensmittelbranche. Die Sommelièren Dorit Schmitt und Christina Hilker sind begeistert von Cider. Streuobst-News fragt nach, wie es Streuobst-Cider und weitere Streuobstprodukte in die Gastronomie bzw. zu den Liebhaberinnen und Liebhabern hochwertiger Getränke schaffen.
- Die Sommelièren: Dorit Schmitt aus Karlsbad und Christina Hilker aus Stuttgart (Baden-Württemberg), zusammen im Projekt Hilker & Schmitt: Die neue Lust zu trinken
- Die Passion: Hochwertige Getränke
- Die Arbeit: Hochwertigen Cider und andere gute Getränke in die Gastronomie und unters Volk zu bringen und Begeisterung dafür wecken
Streuobst-News (SN): Dorit Schmitt, Christina Hilker, wir starten mit einem kleinen Aufgabe: Vor Ihnen sitzen zehn Weinliebhaberinnen und -liebhaber, die von Streuobst und Cider keine Ahnung haben, sich aber sehr auf eine Verkostung freuen. Wie preisen Sie Gästen einen Cider aus Streuobst an?
Dorit Schmitt (DS) und Christina Hilker (CH): Wir entführen Sie heute in eine fast vergessene Kulturlandschaft – die Streuobstwiese mit ihren alten Hochstämmen. Dabei stellen wir Ihnen Getränke vor, die aus den Obstraritäten dieser Biotope gekeltert werden und Ihnen eine neue Aromenwelt eröffnen: Alkoholarm, nachhaltig, lokal und mit einem großen geschmacklichen Spannungsbogen. Genießen Sie mit uns einen Schluck „Heimat“, der beschwingt und dabei zum Erhalt der Streuobstwiesen beiträgt.
SN: Eine Ihrer großen Leidenschaften ist Cider. Wie kommt es dazu?
DS: Als Journalistin und Sommelière bin ich stets auf der Suche nach neuen Trends und außergewöhnlichen Geschmackserlebnissen. Da lag es nahe, mich auf meinen Reisen durch Frankreich genauer mit der Bedeutung von Cidre und Poiré dort auseinanderzusetzen – und die Situation in Deutschland damit zu vergleichen. So kam eines zum anderen: Als ich Christina fragte, ob sie Lust hätte, mit mir das Thema „Cidre, Cider, Apfelsaft & Co.“ zu vertiefen, war sie sofort Feuer und Flamme.
SN: Sie sind ausgebildete Sommelièren. Was genau heißt das?
CH: Ein zentraler Aspekt unseres Berufs ist das perfekte Abstimmen von Speisen und Getränken. Dabei achten wir auf Gerbstoffe (Tannine), Säure und Süße, um entweder Harmonien zu schaffen oder bewusst Kontraste zu setzen. Für die gehobene Gastronomie sind wir ständig auf der Suche nach außergewöhnlichen Getränken, die nicht an jeder Ecke erhältlich sind. Wir beraten auch Gastronomen bei der Gestaltung einer Weinkarte, die bestimmte Kriterien erfüllt: Sie sollte individuell sein, wirtschaftlich sinnvoll und optimal auf das jeweilige gastronomische Konzept abgestimmt. Cider bietet hier vielfältige Möglichkeiten, um eine Getränkekarte auf kreative Weise zu bereichern.
SN: Unser großes Thema ist Streuobst. Welche Rolle spielt es bei den Getränken, mit denen Sie arbeiten? Worin sehen Sie große Vorteile, aber auch Herausforderungen bei Streuobstprodukten?
Hilker & Schmitt: Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Cider aus lokalen Streuobstwiesen stammen meist von kleinen Produzenten und nicht aus industrieller Herstellung. Sie sind naturbelassen, enthalten keinen zugesetzten Industriezucker und werden in der Regel weder pasteurisiert, filtriert noch künstlich verschönert. Mit ihrer Arbeit tragen diese kleinen Mostbetriebe und Cidermacher zur Erhaltung einer wertvollen Kulturlandschaft mit hoher Biodiversität bei. Apfel- und Birnenschaumweine weisen zudem einen niedrigen Alkoholgehalt auf, und einige Produzenten stellen aus alten Obstsorten sogar exzellente alkoholfreie Fruchtschaumweine her.
Gerade weil es sich vorwiegend um sehr kleine Betriebe handelt, entstehen besondere Herausforderungen: Es fehlt eine Lobby, die ihre Arbeit bekannt macht und sie bei der Vermarktung über lokale Geschäfte hinaus unterstützt. Ein Cidermacher im Nebenerwerb kann es sich kaum leisten, sich umfassend um Marketing, Vertrieb und Pressearbeit zu kümmern. Hier ist noch viel Aufbauarbeit nötig, insbesondere bei der Überwindung von Vorurteilen, die mit bestimmten Bezeichnungen verbunden sind. Apfelwein wird oft als „saures Getränk“ wahrgenommen, während Cider häufig als zu süß oder als Industrieprodukt gilt. Französischer Cidre ist hingegen vor allem bei Frankreichkennern ein Begriff.
Die französische AOP-Regelung (Anm. der Redaktion: geschützte europäische Ursprungsbezeichnung in Frankreich) bietet auch kleinen Produzenten Vorteile, wie ein verlässliches Geschmacksprofil und die Unterstützung durch einen starken Verband. Wir haben auf unseren Recherche-Reisen zu den französischen Cidre-AOP-Regionen auch sehr viele kleine Produzenten kennengelernt, die über den Verband aufgelistet sind. In Deutschland könnte ebenfalls Pionierarbeit geleistet werden, um ein ähnliches Regelwerk für verschiedene Anbaugebiete zu schaffen. Auch hier sollten wir uns für ein funktionierendes Netzwerk einsetzen, das über bestehende „freundschaftliche Bande“ hinausgeht und die kleinen Betriebe nachhaltig stärkt.
SN: Empfehlt ihr bei Eurer Arbeit neben Cider auch Apfelsaft?
DS: Hochwertigen Apfelsäften stehen wir grundsätzlich offen gegenüber. Hier ist meiner Ansicht nach weniger Überzeugungsarbeit und Aufklärung erforderlich, als bei den Nischenprodukten Cidre und Poiré. Apfelsaft aus Streuobstwiesen ist ein hochwertiges Produkt, das regional seine Abnehmer findet. Allerdings spielt es bei der Speisenbegleitung eine eher untergeordnete Rolle.
SN: Aus Ihrer Erfahrung: Welche Zielgruppe erreicht Streuobstcider bzw. –produkte am besten? Wer kommt zu Ihren Veranstaltungen?
Hilker & Schmitt: Unsere Zielgruppe besteht aus aufgeschlossenen Genussmenschen und neugierigen Weinliebhabern, ergänzt durch das lokale Publikum der Veranstaltungsorte sowie Cidekenner, die offen für Neues sind. Auch Sommeliers zeigen großes Interesse daran, mehr über diese Produkte zu erfahren. Wir stehen am Anfang einer neuen Bewegung.
SN: Sie bieten Verkostungen an, bei denen Sie Cider von Streuobstwiesen mit einem 6-Gänge-Menü oder mit Käsespezialitäten kombiniert. Wie kommen solche Events an?
Hilker & Schmitt: Unsere Events kommen bei den Teilnehmern sehr gut an – das Feedback ist durchweg positiv. Nun möchten wir unser Angebot weiter ausbauen: Dazu zählen Streuobstwiesen-Dinner (Anm. der Redaktion: Ein Beispiel aus Berlin vom Oktober 2024 gibt es hier), Fine-Dining-Abende, Schulungen und kleinere Tastings wie „Cider & Käse“, „Cider & Heimatküche“ oder „Cider & Patisserie“. Hier brauchen wir noch gut Unterstützung in der Presse und anderen Kanälen, um diese Events optimal anzukündigen und einer noch größeren Zielgruppe bekannt zu machen. Geplant sind auch „Round Table Foren“. Sie bringen Cidremacher zusammenbringen, um sich auszutauschen und neue Kunden zu Verkostungen anzuziehen. Wir sind gerne dabei, um den gastronomischen Nutzen hervorheben und Tastings anzubieten.
SN: Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass Sie „echte Networker“ seid. Warum ist das wichtig? Wie kann ein solches Netzwerk für Vermarkter von Streuobstprodukten aussehen? Wo fängt man am besten an?
Hilker & Schmitt: Netzwerke sind in unserer Branche das A und O. Denn wer hat schon direkten Kontakt zu den renommiertesten Sommeliers oder engagiertesten Köchen des Landes? Wer hat die Telefonnummern von Redakteuren und Journalisten oder schreibt idealerweise sogar für eines der führenden Genuss-Magazine? Wir bieten den Vermarktern von Streuobstwiesen die Möglichkeit, von unserem Netzwerk zu profitieren, wenn sie sich für eine Zusammenarbeit mit uns entscheiden. Je mehr Partner mit uns an einem Strang ziehen, desto mehr bewegen wir gemeinsam.
Wir haben viele spannende Ideen im Kopf und hoffen, dass unsere Cidremacher engagiert mitziehen. Ebenso wünschen wir uns Unterstützung von Bildungseinrichtungen für die Gastronomie, wie etwa von Sommelierschulen oder der Dehoga. Hier sind Sponsoren unerlässlich, die die Schulungen dort erst möglich machen, da Schulungsmaterial, Reisekosten und die Schulungszeiten Geld kosten. Für kulinarische Events sind wir auf die Zusammenarbeit mit der Gastronomie angewiesen. Dazu zählen z.B. Restaurants, Hotels Eventlocations und Caterer, die dieses faszinierende Thema gemeinsam mit uns und unseren Cidre-Machern umsetzen und ihre Gäste dafür begeistern. Vor allem beim Einladungsmanagement und der Bekanntmachung von den Terminen sind wir auf Unterstützung angewiesen.
SN: Wir beobachten, dass Streuobstgetränke wie Cider bisher wenig in der Gastronomie bzw. in der klassischen Weinbranche ankommen. Welche Tipps haben Sie, wie bringt die Streuobstwelt ihren Cider oder auch andere Getränke verstärkt in die Gastronomie oder auch z.B. an die klassischen Weinliebhaberinnen und -liebhaber?
Christina Hilker: Menschen überzeugt man über den Geschmack. Deshalb hilft, wenn hochwertige Events, bei denen Cider als Menübegleitung serviert wird, viel häufiger stattfinden. Gastronomen sollten die Vielfalt von Cider kennenlernen und gezielt beraten werden, welche Produkte ihre Getränkekarten bereichern. Sommeliers der Spitzengastronomie brauchen vor allem Anregungen und Empfehlungen zu den besten Produkten auf dem Markt. Hier zählen Vertrauen und detaillierte Informationen dazu, wie die Ciders schmecken und zu welchen Gerichten sie passen. Aus diesem Grund erstellen wir professionelle Verkostungsnotizen und probieren alle unsere Empfehlungen persönlich. Dorit Schmitt, die zudem eine versierte Köchin ist, testet dabei auch hin und wieder das eine oder andere Rezept selbst, um entstehende Aromenspiele in den Empfehlungen gut zu beschreiben.
SN: Haben Sie zwei bis drei Tipps für Streuobstvermarkter, wie diese ihre hochwertigen Produkte am besten kommunizieren bzw. im direkten Gespräch anpreisen?
DS: Zeigen Sie, woher Ihre Produkte stammen – präsentieren Sie Ihre Streuobstwiesen und die damit verbundene Handarbeit. Social-Media-Kanäle bieten hierfür eine hervorragende Plattform. Auch im direkten Gespräch sollten Sie auf die Bedeutung dieser Handarbeit und die Pflege einer Kulturlandschaft mit all ihren alten Obstsorten hinweisen. Erstellen Sie eine moderne Webseite und versenden Sie regelmäßig einen Newsletter an Ihre Kunden. Scheuen Sie sich nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wo Sie sie benötigen – beispielsweise beim Erstellen professioneller Verkostungsnotizen. Hilker & Schmitt hat sich aus diesem Grund gegründet, um kleinen Produzenten eine Bühne und Unterstützung zu bieten.
SN: Frau Schmitt, Frau Hilker. Sind Sie an Austausch und/oder neuen Produkten interessiert? Wo und wie erreichen Sie Interessierte?
Am besten über unsere Webseite www.hilker-schmitt.de oder der Instagram-Seite https://www.instagram.com/hilker_schmitt/.
SN: Und zum Schluss eine Schnell-Fragerunde. Wie sieht für Sie das die perfekte Verkostung aus?
Cider oder Wein?
Wir finden, es muss kein „entweder– oder“ sein.
Etablierter Kelterer oder ambitionierter Neuzugang?
Beide sind wichtig, um das Thema voranzubringen – wenn die Qualität stimmt
Streuobst oder Plantagenobst im Getränk?
In hochwertigem Cidre definitiv Streuobst
Städter oder Dorfmenschen als Teilnehmende?
Beide – es geht ja um Geschmackserlebnisse und Fürsprecher
Selbst verkosten oder von Erfahrungen berichten?
Wir verkosten auf jeden Fall selbst alles – auch das, was uns empfohlen wurde
HD: Vielen Dank für die Einblicke und dass Sie Ihre Erfahrungen mit uns teilen!
Zu den Interviewpartnerinnen
Dorit Schmitt
Dorit Schmitt ist studierte Kommunikationsdesignerin und heute freie Journalistin im Bereich Wein und Lebensmittel sowie Ciderbotschafterin. Sie betreibt einen Onlineshop für Wein und Feinkost und ist Herausgeberin des Onlinemagazins Aromenspiele. Sie kommt gebürtig aus Neumarkt (Bayern) und wohnt heute in Karlsbad.
https://www.aromenspiele.de/aboutme
Christina Hilker
Christina Hilker ist gelernte Restaurantfachfrau, IHK-geprüfte Sommelière und Ciderbotschafterin. Sie führt Verkostungen, Seminare und Mitarbeiterschulungen zu hochwertigen Getränken durch u.a.Wein, Edelbrände und Cider. Sie kommt aus Stuttgart.