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Vertraglos: Großkeltereien kündigen Bio-Mostobstverträge
Zwar ist bis zur Streuobsternte 2021 noch ein wenig Zeit, doch so mancher Streuobstbewirtschafter denkt bereits zu jetzt mit Frust an die kommende Ernte. Bewirtschafter aus dem Raum Bodensee sowie dem Rems-Murr-Kreis berichten von Vertragskündigungen großer Keltereien. Als Gründe verweist beispielsweise die Kelterei Fidel Dreher GmbH aus Stockach auf den „stagnierenden Bioapfelsaftmarkt“ sowie die „steigenden Produktionsmengen an Bio-Mostäpfeln aus Europa“. Auch von der Widemann Bodensee-Kelterei GmbH aus Bermatingen sind Kündigungen zum Ende 2020 der Bio-Mostobstverträge bekannt. Die Bayerische Warenvermittlung (BayWa) beendet ihre Bio-Verträge zum Jahresende 2021.
Mindestpreis fällt weg
„Seit über 20 Jahren liefere ich mein Bio-Obst von Hochstamm-Bäumen vertragsgerecht ab“, berichtet ein Streuobstbewirtschafter aus dem Bodensee-Hinterland. Nun erhielt er unerwartet Post von seinem Bio-Obst-Abnehmer. Die Kelterei Dreher kündigte den Öko-Vertrag, der bei Vertragsabschluss einen Auszahlungspreis von 25 DM/dt garantierte und zuletzt bei € 17/dt lag. Ein neu angebotener Vertrag der Kelterei bietet dem Erzeuger nun nur noch den „marktgerechten Tagespreis“. Außerdem fallen für die Bewirtschafter in Zukunft Bio-Zertifizierungskosten in Höhe von ca. 150 bis 190 Euro an. Die Kontrollkosten übernahmen bisher die Keltereien. Die Garantie zur Abnahme des Bio-Obstes bleibt erhalten. Die Kelterei Widemann behält sich vor, die neu angebotenen Preise – 14 Euro statt bisher 17 Euro - im Falle eines Überangebots weiter anzupassen.
Niedrige Preise für hochwertige Produkte
Martina Hörmann, Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins Hochstamm Deutschland e.V. warnt vor den Folgen der Vertragskündigungen für den Bio-Streuobstbau: „Streuobstbewirtschafter arbeiten hart dafür, dass Streuobstwiesen erhalten werden. Mit den Vertragskündigungen wird diese praktische Arbeit für die biologische Vielfalt erschwert.“ Sie appelliert deswegen an die Verbraucher, vermehrt die hochwertigen Säfte und Cider von regionalen Aufpreis-Initiativen und Direktvermarktern zu kaufen und diese dadurch zu unterstützen. „Damit bekommen die Bewirtschafter einen fairen Preis für ihre wertvolle Arbeit“. Allein in Baden-Württemberg gebe es über 40 Aufpreisinitiativen mit mehr als 1.000 darin organisierten Streuobstwiesenbesitzern und Keltereien, die Baumbesitzern faire Preise für ihr Obst garantieren. Darüber hinaus stellt die Vorsitzende insbesondere die Erzeuger in den Fokus: „Jeder für sich erzeugt einen hochwertigen Rohstoff, der auch für große Saft-Verarbeiter und Markenhersteller interessant sein kann“. Sie ruft deshalb Streuobstbewirtschafter dazu auf, im Verbund gemeinsam neue Wege zu gehen, z.B. in Form regionaler Erzeugerzusammenschlüsse.
Hochstamm Deutschland e.V. sieht eine weitere Strategie im aktiven Austausch von Ideen und etablierten Best-Practice-Projekten. Gemeinsame Marketingstrategien ermöglichen außerdem, dass mit Qualitätsprodukten auch bisher unerreichte Zielgruppen angesprochen werden. Hochstamm Deutschland e.V. erarbeitet hierfür aktuell mit bundesweiter Beteiligung ein Siegel für „100%-Streuobstprodukte“. „Wir zeigen, welche Schätze Streuobstwiesen bieten“, macht Hörmann deutlich.
Bio-Markt unter Druck
Die Kelterei Dreher begründet die Kündigungen ihrer Streuobstlieferanten mit dem unter Druck geratenen Bio-Apfelsaftmarkt. Dort stagnierten, laut Dreher, die Preise für Bio-Apfelsaft. Der Verband der deutschen Fruchtsaftindustrie (VdF) verweist in seinen Studien auf den steigenden Absatz im Fruchtsaftsegment. So verzeichneten v.a. die höherpreisigen Direktsäfte einen starken Zuwachs zu Beginn des Jahres 2020. Die Nachfrage nach Apfelsaft stieg um 27 Prozent – u.a. ein besonderer Effekt der Corona-Krise. Mit aktuellen Zahlen zum Bio-Saftmarkt rechnet Geschäftsführer Klaus Heitlinger in den nächsten Wochen. Er geht davon aus, dass die Zahlen auch im Bio-Bereich weiter ansteigend sind. Allerdings verweist er ebenso auf die stark gestiegene Zahl der biozertifizierten Streuobstbäume. Dem stimmt auch der Fachreferent für Keltereibetriebe des Verbands der agrargewerblichen Wirtschaft (VdaW), Timo Schumann zu. Er ergänzt: „Streuobst wird beim Verbraucher immer als „bio, ungespritzt“ angesehen, was einen Aufpreis nur schwer realisieren lässt.“ Deshalb müsse sich der Auszahlungspreis fürs Obst am Markt und am möglichen Absatz der Produkte orientieren. Es zeichne sich ab, dass sich eine Nachfrage für säurebetontes Obst von Streuobstwiesen entwickle. Grund hierfür sei, dass besonders bei Äpfel aus Tafelobstplantagen die Säure zur Apfelsaftherstellung gering ist.
Bio-Obst von regionalen Obstplantagen statt Streuobstwiesen
Als weiterer Kündigungsgrund verweist die Kelterei Dreher auf das vermehrte Bio-Obstangebot –auch aus dem Ausland. Die Kelterei selbst startete 2017 mit einem neuen Produktionswerk in Polen. Dort profitiert das Unternehmen nach eigenen Informationen von der „Nähe zu gewaltigen Obstanbaugebieten“. Vor allem konventionelles Obst wird dort verarbeitet. Im Falle des Bio-Obstes kooperiert die Kelterei seit mehreren Jahren mit Grundeigentümern im Bodenseeraum. Dreher bezieht beispielsweise Bio-Mostobst aus sogenannten „Saftobstgärten“. Auf diesen Obstplantagen wachsen im Schnitt zwischen 500 und 800 buschartigen Bäume der schorfresistenten Sorten Topaz, Remo, Rewena oder Hilde. Die Anlagen lassen sich dank 5,5 Meter breiten Fahrgassen effektiv pflegen und mit Schüttelmaschinen und Lesegeräten beernten. Nun kommen die 2014 erstmals angelegten und 2017 stark ausgeweiteten Mostobstplantagen nach und nach in den Vollertrag.
Bewirtschafter suchen Alternativen
Im Bio-Streuobstbereich vereinbarten die Abnehmer bisher meist vertraglich einen festen Preis für die angelieferte Ware. Somit rechnen die Streuobstbewirtschafter über mehrere Jahre mit einer sicheren Bezahlung des Obstes und einer Abnahmegarantie. In den letzten Jahren lag der Bio-Preis meist um 20 Euro/dt. 2020 näherte sich der Bio-Erzeugerpreis dem konventionellen an. Durchschnittlich bekamen die Bio-Bewirtschafter 17 Euro/dt, abhängig von Region und Kelterei. „Bei diesem Preis liege ich für die Arbeit weit unter dem Mindestlohn“, berichtet der Streuobstbewirtschafter aus dem Stockacher Raum. Deshalb sucht er nun eine Alternative. Kleinere Mostereien werden im Moment vermehrt angefragt. Allerdings sind diese nicht in der Lage, die gesamten freiwerdenden Obstmengen aufzunehmen. „Die Eigenvermarktung des Bio-Safts – beispielsweise in der sogenannten Bag-in-Box - eignet sich für manchen Bewirtschafter“, so Hörmann, „allerdings ist auch hier der Verbraucher und ein geeignetes Marketingkonzept gefragt.“