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Wie Streuobstkunst ehemalige Kriegsgegner vereint
Thilo Mössle verbindet Streuobst, Handwerk und Kunst - und nebenbei zwei Länder und ehemalige Kriegsgegner. "Chimären - Denkmal für die Deutsch-Französische Freundschaft": Bei diesem Werk des Bildhauers Lutz Thilo Mössle aus Rudersberg (Baden-Württemberg) handelt es sich um eine konzeptuelle Arbeit. Das Kunstwerk beschäftigt sich vordergründig mit der Streuobstkultur und mit der Veredelung von Obstbäumen. Ursprünglich war sie für die internationale Kunstausstellung „Rue des Arts“ 2024 in Tulle zum Thema “Chimères” entstanden und dort im Kreuzgang des ehemaligen Zisterzienserklosters ausgestellt.
Handwerkskunst ist Kunst und verbindet Länder
Unter Verwendung einer alten, gärtnerischen Veredelungstechnik, der sogenannten „Kopulation“, fügte Mössle Bestandteile von Jungpflanzen verschiedener Apfelsorten mit unterschiedlichem Erbgut zu neuen Baumindividuen zusammen. So entstanden mehrere neue Bäume, die der Künstler wiederum zu Paaren kombinierte. Beim oben genannten Werk vereinigte Mössle eine gesunde, starkwüchsige Wurzelunterlage A mit einer Edelsorte B. Letztere weist positive Fruchteigenschaften auf, zum Beispiel bezüglich Geschmack oder Lagerfähigkeit. Die Entscheidung fiel auf die älteste dokumentierte französische Apfelsorte, die ‘Graue französische Renette‘ und auf die älteste dokumentierte deutsche Sorte ‘Edelborsdorfer‘, die Zisterzienser bereits im 12. Jahrhundert anbauten. Thilo Mössle bestellte bei zwei Obstmuttergärten in Deutschland krankheitsfreie, auf Sortenechtheit zertifizierte Edelreiser (einjährige, im Januar geschnittene Triebe). Diese pfropfte er auf jeweils unterschiedliche Wurzelunterlagen auf: Die ‘Graue französische Renette‘ (‘Reinette grise française‘) auf die deutsche Wurzelunterlage ‘Bittenfelder Sämling‘, den deutschen ‘Edelborsdorfer‘ (Reinette d’Allemagne) auf den Wildapfel ‘Malus Sylvestris‘ (‘Holzapfel‘), in Frankreich auch bekannt als ‘Pommier Franc‘ und in früheren Zeiten oft verwendet als Veredelungsunterlage.
Streuobstkunst mit Geschichte in Frankreich
Es wachsen also momentan zwei, aus deutschen und französischen Bestandteilen zusammengewachsene Obstbaumpaare heran, die, mit Hilfe der jeweiligen Veredelungspartner, in Zukunft deutsche und französische Früchte hervorbringen sollen. Eines dieser Paare pflanzten die Oberbürgermeister von Schorndorf und Tulle im Parc de l'Auzelou in der französischen Stadt gemeinsam Anfang September 2024 im Rahmen einer feierlichen Zeremonie. Anlass dieses Zusammentreffens und der Freundschaftsgeste der beiden Stadtoberhäupter ist der 80. Jahrestag des als „Massaker von Tulle“ bekannt gewordenen deutschen Kriegsverbrechens. 1944 tötete die Waffen-SS in einer Vergeltungsaktion für den Angriff von Partisanen auf deutsche Truppen 99 junge Männer aus dem Ort Tulle. Die Bevölkerung musste zusehen, wie diese an Laternenpfählen und Balkongittern aufgehängt wurden. Weitere 149 Einwohner wurden verhaftet und deportiert, 101 davon starben.
Die zweite Pflanzung findet dann im November 2024 in Schorndorf statt. In Tulle und in Schorndorf klärt künftig die Inschrift einer in den Boden eingelassenen Gedenktafel aus Naturstein über die „Chimären“ auf. Außerdem wird nach Abschluss der Pflanzungen in beiden Rathäusern eine Dokumentation der Kunstaktion hinterlegt. Die Baumpaare in Tulle und Schorndorf sind ein Denkmal für die Deutsch-Französische Freundschaft. Sie beschwören in Zeiten von neu aufkommendem Nationalismus die Gemeinsamkeiten und Synergien von Tulle, Schorndorf und den dazugehörenden Nationen.
Kontakt zum Künstler
Thilo Mössle
Bildhauerwerkstatt Zumhof
Hofgässle 3 ∙ 73635 Rudersberg
E-Mail: moessle@online.de
www.lutzthilomoessle.de